Organisation der protestantischen Gemeinschaft

Die protestantische Gemeinschaft, die aus der Illegalität herausgekommen ist, muss sich neu organisieren. Das Konkordat legt ihr einen neuen institutionellen Rahmen auf, der, obwohl er ihr den Schutz des Staates verschafft, neue Schwierigkeiten verursachen wird, weil es keine zentrale kirchliche Autorität gibt. Ab 1850 wird sich die Organisation der reformierten Gemeinschaft durch Lehrstreitigkeiten gespalten sehen, die oft sehr heftig geführt werden. Aber die Notwendigkeit, gegenüber der Staatsmacht Geschlossenheit zu zeigen, wird 1905 zur Gründung der Fédération protestante de France führen.

Von der Tolerierung zur Anerkennung

Mehr als ein Jahrhundert lang, von 1685 bis 1787, überlebt die verfolgte protestantische Gemeinschaft im Verborgenen. Trotz der heimlichen Wiederherstellung der kirchlichen Ämter und sogar der Synoden, wurde noch 1762 ein Pfarrer hingerichtet, und erst 1787 gestand ein Toleranzedikt Ludwigs XVI. den Hugenotten einen Personenstand zu, aber ohne ihnen Religionsfreiheit und Gleichstellung bei der Ausübung öffentlicher Ämter zu gewähren.

Die Protestanten nehmen die Revolution von 1789 wie eine Befreiung auf, da Artikel 10 der Menschenrechtserklärung die Gewissens- und Glaubensfreiheit gewährt, „vorausgesetzt deren Ausübung stört nicht die öffentliche, durch Gesetz geregelte Ordnung“. Die Situation ändert sich mit der Schreckensherrschaft, als Priester, Rabbiner und Pfarrer abdanken und ihrem Amt entsagen müssen. Nach dem 9. Thermidor 1794 normalisiert sich die Lage allmählich.

Am Anfang des 19. Jahrhunderts bestand die protestantische Gemeinschaft aus etwa 500.000 Reformierten, die über das ganze Land verstreut waren, und etwa 220.000 Lutheranern im Elsass und im Gebiet von Montbéliard. Wenn man vom höfischen Adel und den höchsten Richtern absieht und hervorhebt, dass der französische Protestantismus in erster Linie ländlicher Art ist, sind alle gesellschaftlichen und beruflichen Gruppen vertreten ; ihre Verteilung variiert stark von einer Region zur anderen : Bauern im Poitou, kleine Landbesitzer im Südosten, Händler und Industrielle im Osten, große Güter des hugenottischen Adels im Südwesten und schließlich Bankiers und Finanziers in den Großstädten.

Das demographische Wachstum der französischen Gesamtbevölkerung im 19. Jahrhunderts lässt den französischen Protestantismus auf etwa 850.000 Personen in der Mitte des 19. Jahrhunderts ansteigen, also 2,35% der Bevölkerung, der Verlust von Elsass-Lothringen reduziert diese Zahl auf ungefähr 600.00, also 1,6%. Die Protestanten stellen folglich nur eine sehr kleine Minderheit der Bevölkerung dar, die sich unregelmäßig zwischen den ‚Hochburgen‘ des Elsass oder der Cevennen und dem restlichen Staatsgebiet aufteilt.

Umgestaltung

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Epoche, in der die Protestanten ihre Kräfte erneuern. Sie müssen ihren materiellen Rahmen (Neubau von Kirchen) und ihren intellektuellen Rahmen (Einrichtung von theologischen Fakultäten zur Ausbildung neuer Pfarrer) wiederaufbauen. Aber vor allem müssen sie ihre Institutionen neu erschaffen : diese Epoche bezeichnen einige Historiker als ‚Umgestaltung‘.

Das Konkordat (1801), das durch die organischen Artikel von 1802 ergänzt wird, setzt die neue Organisation der reformierten Kirchen Frankreichs und auch die der lutherischen Kirche fest : der französische Protestantismus heißt den Schutz des Staates, den das Konkordat mit sich bringt, willkommen. Diese neue Organisation der protestantischen Gemeinschaft wird jedoch zahlreiche Konflikte hervorrufen, die das ganze 19. Jahrhundert über aufbrechen : sie zwingt eine Organisation auf, die der Tradition der Gleichstellung aller lokalen Kirchen widerspricht, und vor allem äußert sie sich nicht über die Existenz einer Nationalsynode, die bei den Reformierten die allein zuständige Autorität in Sachen Glaubenslehre ist. Die reformierten Kirchen bleiben ein Körper ohne Kopf.

Die Zeit der Spaltungen : ab 1850 wird die Organisation der protestantischen Gemeinschaft durch die oft heftigen Streitigkeiten, in denen sich Liberale und Evangelische konfrontieren, erschwert (vgl. die verschiedenen Auffassungen bezüglich der Lehre). Sie kommen zu den institutionellen Schwierigkeiten noch hinzu und enden mit einem ‚Schisma‘ – wie einige es nennen -, das 1872 bei der ersten seit der Widerrufung organisierten Nationalsynode eintritt.

Die Trennung von Kirche und Staat (9. Dezember 1905) wird von den Protestanten willkommen geheißen : einige von ihnen forderten sie seit langem, und das Gesetz, das die Vereinigungen von kulturellen Verbänden auf nationaler Ebene erlaubt, bereitet so den aus dem Konkordat entstandenen Schwierigkeiten ein Ende.

Der Schritt in Richtung Einheit ergibt sich aus der Notwendigkeit, gegenüber der Staatsmacht Geschlossenheit zu zeigen, und er wird durch die Entwicklung in der Lehre erleichtert. Er endet mit der Gründung der Fédération protestante de France im Oktober 1905, die Reformierte (Evangelische, Liberale, Bibeltreue), Lutheraner, Methodisten zusammenfasst und der sich später die Baptisten zugesellen, wodurch dieses Jahrhundert der Umwandlung auf erfreuliche Weise zu Ende geht.

Der Protestantismus im Elsass wird eine vergleichbare Entwicklung durchlaufen. Das Konkordat verändert die Organisation der lutherischen Kirche, indem es nur die konsistoriale Kirche mit 6000 Seelen anerkennt, aber es behält eine zentrale Struktur bei, das Konsistorium von Straßburg. Zudem wird die Debatte zwischen Liberalen und Evangelischen niemals so intensiv geführt werden wie in der reformierten Kirche. Nach dem Verlust des Elsass lassen sich viele Protestanten im ‚Inneren‘ nieder, wo die lutherische Gemeinschaft, die auf 80.000 Mitglieder zurückgegangen ist, im nationalen Bund der lutherischen Kirchen bleiben wird.

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Bibliographie

  • Bücher
    • ENCREVÉ André, Les protestants en France de 1800 à nos jours. Histoire d’une réintégration, Stock, Paris, 1985

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