Die evangelikalen Kirchen

Die Mehrzahl der evangelikalen Kirchen hat sich erstmals zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt. Frankreich zählt heute 1850 Kirchen mit 350.000 Mitgliedern und in der Welt betragen die evangelikalen Protestanten etwa 200 Millionen (diese Zahl berücksichtigt nicht die Pfingstkirchen). Der evangelikale Protestantismus hat seit etwa zwanzig Jahren überall auf der Welt zugenommen, sowohl in Mittel- und Südamerika als auch in Asien und besonders in China.

Wie lässt sich der evangelikale Protestantismus definieren ?

  • Reverend Mac All predigt bei der « Mission populaire évangélique » © S.H.P.F.

Es sei daran erinnert, dass sich der Protestantismus von Anfang an in Bezug auf das Evangelium definiert hat. Alle protestantischen Kirchen sind ihrer Berufung nach evangelikal.

Ab dem 16. Jahrhundert entstehen verschiedene Bewegungen, die das persönliche Engagement aufwerten, besonders die anabaptistische Bewegung (Anabaptist heißt „Wiedertäufer“). Es handelt sich um eine Ekklesiologie von Bekennenden, die durch die Erwachsenentaufe gekennzeichnet ist. Die anabaptistische Bewegung verbreitet sich schnell. Ihr Theologe und Organisator war der in den Niederlanden geborene Menno Simonz (1496-1561). Der Anabaptismus ist nach und nach in den Mennonismus eingegangen.

Vor allem mit der Erweckungsbewegung (1820-1870) am Anfang des 19. Jahrhunderts erhält der Begriff „evangelikal“ eine besondere Bedeutung. Man muss im Hinterkopf behalten, dass die Erweckungsbewegung ein grundlegendes Element für den Wiederaufbau des französischen Protestantismus dargestellt hat. Es handelt sich um eine Zeit der aktiven Mobilmachung, die die Autorität der Bibel und die Bekehrung an erste Stelle setzt.

Heutzutage erkennen die sich strukturierenden evangelikalen Kirchen folgende vier Prinzipien als grundlegend an:

  • Der Biblizismus: die Bibel ist unfehlbar und die einzige maßgebende Quelle. In ihrer Auslegung der Schrift zeugen die evangelikalen Protestanten von einer gewissen Orthodoxie, das heißt, sie lesen die Bibel im Vertrauen auf die ihr zugrundeliegende Historizität der Offenbarung.
  • Die zentrale Stellung des Kreuzes: Dank des Opfers Christi am Kreuz sind die Sünden der Menschen ein für allemal gesühnt.
  • Die Bekehrung oder „Neugeburt“: man wird Christ in Folge einer persönlichen Begegnung mit Jesus Christus. Die Evangelikalen bemühen sich, die Mittler zwischen dem Text und dem Leser zu begrenzen. Man gehört einer Kirche nicht durch Geburt an, sondern durch ein Glaubensbekenntnis. Die Evangelikalen betonen also die Gewissensfreiheit und die persönliche Dimension der Bekehrung.
  • Das aktive Engagement in der Welt: die evangelikalen Protestanten haben die Aufgabe, die Botschaft des Evangeliums zu bezeugen und zu verbreiten. Ihre Identität ist auf ihren gemeinsamen Glauben gegründet, sie wollen eine Kirche von „Bekennenden“ aufbauen. Die evangelikalen Bewegungen und Verbände sind sehr aktiv im sozialen Bereich.

Geschichte der evangelikalen Kirchen

  • Diakonie Sankt-Marcel, 19 rue Tournefort, Paris © Collection privée

Im Jahre 1846 wird die Evangelikale Allianz in London gegründet. Sie hat zum Ziel, die Evangelikalen jeder Bezeichnung zu versammeln, Einzelpersonen, keine Kirchen. Sie hat Verzweigungen in Frankreich, wo die Evangelikale Französische Allianz gegründet wird.

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts sind Baptisten und Methodisten in Frankreich ansässig.

Im Jahre 1849 findet mit der Gründung der Union der Evangelikalen Kirchen Frankreichs, allgemein Freikirchen genannt, das sogenannte libristische Schisma statt, das heißt „frei gegenüber dem Staat“ und keinem Konkordat unterliegend.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchen die evangelikalen Netzwerke sich zusammenzuschließen und Ausbildungsstrukturen zu schaffen:

  • 1921 wird das Bibelinstitut in Nogent-sur-Marne gegründet. Dabei handelt sich um einen wichtigen Schritt: zum ersten Mal geben sich die evangelikalen protestantischen Kirchen eine dauerhafte inter-evangelikale Ausbildungsstruktur. Außerdem unterhält dieses Institut Verbindungen zu evangelikalen Protestanten anderer Länder: der Schweiz, den Niederlanden, England, den Vereinigten Staaten.
  • Eine erste evangelikale Fakultät wird 1939 in Aix-en-Provence gegründet.
  • 1965 entsteht die Freie Theologische Evangelikale Fakultät Vaux-sur-Seine, die einen fruchtbaren Austausch mit der von Aix schafft.
  • 1969 haben sich die evangelikalen Kirchen in einer Föderation zusammengetan, der Evangelikalen Föderation Frankreichs, die über 350 Verbände umfasst und 25.000 Mitglieder zählt.
  • Seit 2001 fasst der Nationalrat der evangelikalen Christen Frankreichs (CNEF) im Einvernehmen alle Tendenzen und Sensibilitäten des evangelikalen Milieus zusammen. In diesem Forum zum gemeinsamen Nachdenken finden sich die hauptsächlichen evangelikalen Gruppierungen wieder.

Entwicklung der evangelikalen Kirchen

  • Theologische Fakultät von Vaux-sur-Seine © Faculté de théologie de Vaux-sur-Seine

Heutzutage ist der Aufschwung des evangelikalen Protestantismus beträchtlich.

Charakteristisch für ihn ist eine große Vielfalt.

Man zählt in Frankreich etwa fünfzig evangelikale Bezeichnungen und etwa 1800 Ortskirchen, von denen 300 unabhängig sind (etwa 350.000 Mitglieder).

Seit den siebziger Jahren ist ein neues Phänomen zu beobachten, das den Gemeinschaftsgeist begünstigt: die Entwicklung von evangelikalen ethnischen Kirchen. In den neunziger Jahren zählt man schon etwa 300 afrikanische evangelikale Kirchen.

Mit dem Ziel, möglichst viel Menschen zu erreichen, sich bekannt zu machen und ihr Gedankengut zu verbreiten, haben die Evangelikalen einen wahren literarischen und künstlerischen Markt geschaffen: Verbreitung von Werken, Zeitschriften, Studien zur Bibel und auf dem musikalischen Sektor, Organisation von zahlreichen Konzerten.

Die evangelikalen Kirchen sind nicht einer Meinung, was den Ausdruck ihres Glaubens angeht. Vor allem ist zu unterscheiden zwischen den „klassischen“ und den sogenannten „charismatischen“ Evangelikalen. Sie unterscheiden sich vor allem in der Feier ihres Gottesdienstes und in der Betonung des Heiligen Geistes.

Die hauptsächlichen evangelikalen Kirchen in Frankreich sind die Baptisten, die Methodisten und die Darbysten, die unter verschiedenen Bezeichnungen zusammengefasst sind. Hier die wichtigsten:

  • FEEB: Föderation der evangelikalen baptistischen Kirchen: 128 Kirchen
  • CAEF: Evangelikale Gemeinden und Versammlungen Frankreichs: 109 Kirchen
  • Darbysten: 105 Kirchen
  • CEBI: Evangelikale Gemeinschaft unabhängiger Baptisten: 85 Kirchen
  • FEPEF: Föderation der Kirchen des vollen Evangeliums Frankreichs: 61 Kirchen
  • FM: Frankreich-Mission: 51 Kirchen
  • EREI: Reformierte unabhängige evangelikale Kirchen: 60 Kirchen
  • UEEL: Union der freien evangelikalen Kirchen: 54 Kirchen
  • AEEBLF: Evangelikaler Verband baptistischer Kirchen französischer Sprache: 45 Kirchen
  • CEAF: Gemeinschaft der afrikanischen Kirchen Frankreichs: 38 Kirchen
  • FEM: Evangelikale missionarische Föderation: 30 Kirchen

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