Der Aufschwung des Protestantismus in Frankreich (1520-1562)

Luthers Ideen verbreiten sich in Frankreich ab 1520. Der Obrigkeit gelingt es zunächst, den Einzug der Reformation zu verhindern. Ab 1540 bildet sich jedoch unter dem Einfluß von Calvin eine neue Kirche heraus, die endgültig mit den römisch-katholischen Traditionen bricht.

Zwei evangelische Bewegungen bilden sich heraus

Die neuen Ideen, die Frankreich ab 1520 erreichen, lassen dort zwei evangelische Bewegungen entstehen :

  • Die humanistische evangelische Bewegung, die eine innere Reform der Kirche fordert.
  • Die soganannte „lutherische“ evangelische Bewegung, die von der Reformation in Deutschland und in der Schweiz, die den Bruch mit der römischen Kirche vollzieht, beeinflußt ist.

Diese beiden Bewegungen haben untereinander manche Berührungspunkte. Seitens der Kirche werden die „Humanisten“ verdächtigt, mit den „Lutheranern“ gemeinsame Sache machen zu wollen.

Die humanistische evangelische Bewegung

  • Marguerite d'Angoulême (1492-1549) © S.H.P.F.

Das oberste Anliegen der christlichen Humanisten ist die Rückkehr zum Evangelium und zu den Originaltexten der Bibel. Erasmus gelangt über seine Bibelstudien zur Kritik an zahlreichen Riten und Praktiken der römischen Kirche.

Seine bahnbrechenden Ansichten werden unter den Gelehrten und in manchen Kreisen der Hohen Geistlichkeit zustimmend diskutiert. Sie erreichen auch die persönliche Umgebung des Königs François I., dessen Schwester, Marguerite von Angoulême („Marguerite von Navarra“), den Bischof von Meaux, Guillaume Briçonnet, dazu ermuntert, in seinem Bistum eine Reform des Gemeindelebens vorzunehmen. Der Bischof läßt Lefèvre d’Étaples (Faber Stapulensis) zu sich kommen, der den Kreis von Meaux gründet und das Neue Testament ins Französische übersetzt. Dadurch zieht sich Briçonnet 1527 den Zorn der Theologischen Fakultät („Sorbonne“) von Paris zu. Um das Umsichgreifen der evangelischen Bewegung zu verhindern, strengt der oberste Gerichtshof von Paris schließlich einen Prozeß gegen den Bischof von Meaux an, der der „lutherischen Ketzerei“ verdächtigt wird. Kurz darauf wird jegliche französische Übersetzung der Heiligen Schrift gerichtlich verboten.

Die « lutherische » evangelische Bewegung

  • Guillaume Farel (1489-1565) © S.H.P.F.

Ab 1520 gelangen die Schriften Luthers auch nach Frankreich, wo sie auf ein interessiertes Publikum treffen. Guillaume Farel, einer der Köpfe des Kreises von Meaux, vertieft sich in ihre Lektüre und verbreitet ihr Gedankengut. Die Sorbonne verdammt Luthers Schriften 1521 als ketzerisch und läßt sie in Frankreich verbieten. Sie werden trotzdem ins Französische übersetzt und ab 1524 in Paris, Alençon und Lyon, vor allem aber jenseits der französischen Grenzen gedruckt und gehen sodann in Frankreich heimlich von Hand zu Hand.

Guillaume Farel, der nach Straßburg geflohen und von dort aus in die Schweiz gegangen ist, sorgt dafür, daß auch die Ideen der Reformatoren Bucer und Zwingli in Frankreich zur Kenntnis genommen werden. Ab 1530 kommen die neuen „ketzerischen“ Ideen vor allem aus der Schweiz.

Die Protestanten, die zu dieser Zeit unterschiedslos als „Lutheraner“ bezeichnet werden, gehören vornehmlich der gesellschaftlichen Führungsschicht an, die lesen kann : Geistliche, Schulmeister, Studenten, Staatsdiener, aber auch Buchdrucker und ihre Gesellen sowie Handwerksmeister aus dem Textilbereich und der Lederverarbeitung. Die neuen Ideen finden vor allem durch die Prediger und Lehrer eine weite Verbreitung.

Die Verfolgung der Protestanten

Ab 1521 werden die Protestanten von der Sorbonne, der kirchlichen Obrigkeit und der königlichen Justiz als Ketzer verdammt. Ihnen drohen hohe Geldbußen, Gefängnisstrafen und, vor allem für Mönche und Priester, lebenslange Einsperrung und sogar der Tod auf dem Scheiterhaufen.

Die Plakat-Affäre kennzeichnet einen neuen Höhepunkt der Auseinandersetzung. Im Oktober 1534 werden überall in Paris, Orléans, Blois und selbst an der Schlafzimmertür des Königs Plakate angeschlagen, deren Text in bisher unerhörter Schärfe gegen das katholische Abendmahl und die Messe vorgeht.

Diese Provokation führt zu einem Abbruch aller Beziehungen zwischen der humanistischen und der lutherischen evangelischen Bewegung. Der König läßt die Unterdrückungsmaßnahmen verschärfen.

1546 werden in Meaux an ein und dem selben Tag 13 „Lutheraner“ zusammen mit ihrem Pastor lebendig verbrannt. Im Verlauf von nur zwei Jahren erläßt der Oberste Gerichtshof von Paris, dessen Justizbezirk ganz Zentralfrankreich und Lyon einschließt, 500 Urteile, darunter mindestens 68 Todesurteile.

Die Verfolgungen lassen manchen Kirchenabtrünnigen wieder zum Katholizismus zurückkehren ; der größere Teil jedoch verlegt sein religiöses Leben nun in den Untergrund. Einige stehen offen zu ihren religiösen Überzeugungen und nehmen es in Kauf, zu Märtyrern zu werden.

Die Gründung der protestantischen Kirche Frankreichs

  • Karte der protestantischen Minderheiten © S.H.P.F.

Ab 1540 beeinflußt die von Genf ausgehende Verbreitung der Ideen Calvins nachhaltig die weitere Entwicklung der Reformation in Frankreich.

Die erste protestantische Kirche ist die von Meaux. Erst ab 1555 werden weitere Kirchen in verschiedenen anderen Städten gegründet, wie zum Beispiel in Paris, Angers und Valence. In bestimmten Gegenden sind sie besonders zahlreich : in der Provence, im Languedoc und im Tal der Garonne.

1559 kommt es zu einem ersten heimlichen Treffen von Abgeordneten der inzwischen in Frankreich bestehenden Kirchengemeinden. Pastoren und Älteste treten zur Pariser Nationalsynode zusammen. Die Synode stellt die Verbindung zwischen den einzelnen Ortsgemeinden her. Bei ihrer Konferenz in Paris übernehmen die Abgeordneten das von Calvin verfaßte Glaubensbekenntnis und einigen sich auf eine Kirchenordnung, die sich an diejenige der Genfer Kirche anlehnt. Der organisatorische Zusammenschluß der Kirchen begünstigt das Fortschreiten der Reformation in ganz Frankreich.

Eine protestantische Partei

Nach der gesellschaftlichen Führungsschicht ergreift die Reformation weite Teile des Adels, vor allem in den südfranzösischen Provinzen sowie in der Normandie, im Brie und in der Champagne. Die Hochadligen, die nach dem Tod von HenriII. (1559) nach Recht und Herkommen in den Kronrat berufen werden, sind zum Teil Protestanten ; unter ihnen zeichnen sich besonders aus :

  • Antoine de Bourbon und seine Gemahlin Jeanne d’Albret, die Eltern von Henri de Navarre ;
  • Louis de Bourbon, Prinz von Condé, ein Bruder von Antoine de Bourbon ;
  • Gaspard de Châtillon, Admiral von Coligny.

Das Anwachsen der reformierten Gemeinden und der Zulauf eines Teils des Hochadels läßt die Protestanten offener auftreten und politisiert ihr Lager. Sie streben nach rechtlicher Anerkennung, wenn nicht sogar nach der Macht im Staate. Die dem Hofe nahestehenden protestantischen Adligen von Rang und Würden tun ihr Möglichstes, um die königliche Politik zugunsten der Protestanten zu beeinflussen.

Die Schlüsselereignisse im Vorfeld der Religionskriege

  • Tod von Anne du Bourg (1559) © Musée Calvin de Noyon

Henri II. umgibt sich mit ebenso katholischen wie ehrgeizigen Reichsfürsten, deren Wortführer der Herzog François de Guise und sein Bruder, der Kardinal von Lothringen, sind. Nach dem Tod von Henri II. (Juli 1559) ziehen die beiden Brüder die Regierungsgeschäfte des jungen Königs François II. an sich. Im Dezember 1559 schicken sie Anne du Bourg, einen ehemaligen Geistlichen und derzeitigen Gerichtsrat am Parlement von Paris, in Paris auf den Scheiterhaufen. Er war noch unter der Regierung von Henri II. ins Gefängnis geworfen worden, da er während einer Vollversammlung („Mercuriale“) des Parlements in Gegenwart des Königs dafür eingetreten war, die Protestantenverfolgungen zu beenden.

1560 planen einige protestantische Adlige die Entführung des jungen Königs François II., um diesen dem Einfluß der Guises zu entziehen. Der Anschlag (« Verschwörung von Amboise ») mißlingt. Die Guises rächen sich durch zahlreiche Hinrichtungen, während die Protestanten sich vielerorts erheben und katholische Kirchen besetzen, um dort ihren Gottesdienst zu feiern.

Um die Guises nicht zu mächtig werden zu lassen, entschließt sich Katharina von Medici, die Witwe von Henri II. und Regentin Frankreichs nach dem Tode ihres Sohnes François II. (1560), mit den Protestanten schonend umzugehen, um auf diese Weise einen Religionsfrieden herbeizuführen.

1561 lädt sie katholische und reformierte Theologen zu einem Religionsgespräch nach Poissy ein, doch ihr Versuch einer Verständigung scheitert.

Das von François de Guise, dem Kronfeldherrn Anne de Montmorency und dem Marschall de Saint-André gebildete « Triumvirat » legt zu Ostern 1561 einen feierlichen Eid ab, den Protestantismus in Frankreich auszurotten und dort niemals mehr einen anderen als den katholischen Kultus zuzulassen.

Der Kanzler Michel de L’Hospital bringt die Regentin im Januar 1562 dazu, ein Edikt zu erlassen, das es den Protestanten erlaubt, sich in den Vorwerken der festen Städte und auf dem Lande zum Gottesdienst zu versammeln. Die öffentliche reformierte Religionsausübung wird damit offiziell legalisiert. Diese Maßnahme besänftigt jedoch weder die Protestanten noch die Katholiken, da sie zu spät kommt, um die inzwischen auf beiden Seiten ins Unerträgliche angewachsenen Spannungen aufzulösen. Außerdem fehlen dem minderjährigen König Charles IX. die Machtmittel, das « Januaredikt » (auch « Toleranzedikt » genannt) in der Praxis durchzusetzen.

Am 1. März 1562 läßt François de Guise die bei einer Scheune in Wassy (Champagne) zum Gottesdienst versammelten Protestanten niedermetzeln. Das « Massaker von Wassy » ist der Auftakt der Religionskriege.

Bibliographie

  • Bücher
    • CROUZET Denis, La genèse de la Réforme française 1520-1562, SEDES, Paris, 1996, p. 620
    • GARRISSON Janine, Les Protestants au XVIe siècle, Fayard, Paris, 1988
    • HIGMAN Francis, La diffusion de la Réforme en France, Labor et Fides, Genève, 1992
    • LÉONARD Émile Guilaume, Histoire générale du protestantisme, PUF, Paris, 1964, Volume 3

Dazugehörige Rundgänge

Dazugehörige Vermerke

  • Michel de l'Hospital (1505-1573)

    Er ist ein katholischer Jurist und wird von Katharina von Medici dazu angehalten, Katholiken und Protestanten zu einem friedliches religiösen Zusammenleben zu bewegen. Dieser Versuch scheitert.
  • Ulrich Zwingli (1484-1531)

    Zwingli ist Seelsorger und Theologe. Für ihn ist das Studium der Bibel die Grundlage einer Reformation, die den Kampf gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeiten mit einschließt.
  • Guillaume Farel (1489-1565)

    Farel ist der Reformator der französischen Schweiz und hat besonders in Neuchâtel gewirkt. Er ist Prediger und Organisator sowie Verfasser einer Liturgie in französischer Sprache.
  • Martin Butzer oder Bucer (1491-1551)

    Der gebürtige Elsässer und Humanist hat sich sein ganzes Leben lang dafür eingesetzt, die Einheit der Kirche zu bewahren.
  • Die Plakat-Affäre (1534)

    Plakate mit einem die katholische Kirche beleidigenden Text werden in Paris, in der Provinz und sogar an der Schlafzimmertür des Königs angeschlagen. François I. entschließt sich zur Vergeltung.
  • Die Verschwörung von Amboise (1560)

    Die protestantische Partei versucht, den König zu entführen, um ihn dem Einfluß der Guises zu entziehen.
  • Das Religionsgespräch von Poissy (1561)

    Um es nicht zu einem Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten kommen zu lassen, lädt Katharina von Medici Theologen beider Parteien zu einem Religionsgespräch in Poissy ein. Das Vorhaben scheitert.
  • Das Massaker von Wassy (1562)

    Für die Protestanten beginnen die Religionskriege mit dem Massaker von Wassy. Für die Katholiken werden sie von der Eroberung von Orléans durch Louis de Condé ausgelöst.
  • Gaspard de Coligny (1519-1572)

    Gaspard de Coligny, aus der mächtigen Familie der Châtillon, befindet sich natürlicherweise im Dienst der Könige Frankreichs. Doch nach seiner Verhaftung während der Belagerung von Saint-Quentin bekehrt er sich zur...
  • Marguerite d'Angoulême (1492-1549)

    Als Schriftstellerin nimmt Marguerite d‘ Angoulême eine zentrale Stellung im kulturellen und geistigen Leben ihrer Zeit ein. Sie fördert die neuen Ideen.
  • Jeanne d'Albret (1528-1572)

    Sie bekehrt sich zum Protestantismus, den sie in ihrem Königtum von Navarra zur Staatsreligion erhebt.