Soziologie des Protestantismus

Die Soziologie des französischen Protestantismus zeigt die Kontinuität des „historischen“ Protestantismus der reformierten und der lutherischen Kirche und die Entwicklung der evangelikalen Kirchen.

Quantitativer Ansatz

  • Evangelische Gottesdienststätten im Jahre 1957 © Mours

Über die Gesamtzahl der zum Ende des 20. Jahrhunderts in Frankreich lebenden Protestanten wird natürlich diskutiert, da die offiziellen Bevölkerungszählungen keine Eintragung über die Religionszugehörigkeit enthalten.

1980 und 1995 wurden mehrere Meinungsumfragen und Erhebungen durchgeführt. Die Umfrage von 1995 schätzt die Zahl der Protestanten, die „sich klar als solche bezeichnen“, auf 2 % der Bevölkerung, das sind 1 100 000 Personen, die sich in zwei Gruppen unterteilen (R. Fabre) :

  • rund 600 000 Protestanten, die eine Bindung an die Kirchen der Reformation angeben, davon sind etwa 400.000 Angehörige der Reformierten Kirche und 200.000 Angehörige der Lutherischen Kirche. Aus der Erhebung von 1995 ging hervor, dass lediglich 39 % von ihnen „voll oder etwas“ an das Heil durch Gnade glauben, das den Sockel des protestantischen Glaubens bildet ;
  • rund 500 000 Personen, die sich kulturell oder soziologisch dem Protestantismus verbunden fühlen und bei denen Bibellesen, Beten, Religionsunterricht für die Kinder mehr oder weniger üblich ist.

Zu diesen beiden Gruppen, die in unterschiedlichem Grad ihre Verbundenheit mit der protestantischen Gemeinschaft bekunden, werden manchmal noch 500.000 Personen hinzugefügt, die sich weiterhin als Katholiken verstehen, dabei jedoch erklären, dem Protestantismus sehr nahe zustehen : diese „katholischen Protestanten“ leben oft in gemischten Ehen, was eine gewisse „Verwässerung“ des traditionellen Protestantismus mit sich bringt.

Die vorgenannten Zahlen, in denen eine gewisse Schwächung des historischen Protestantismus zum Ausdruck kommt, berücksichtigen jedoch nicht die evangelikalen, hauptsächlich baptistischen und pfingstlerischen Kirchen und auch nicht die französische evangelische Zigeunermission.

Die Identität des französischen Protestantismus ist weniger stark ausgeprägt als früher. Dafür werden vielfältige Erklärungen angeboten :

  • Verstädterung, Bevölkerungsvermischungen, Einwanderung haben die Bastionen des Protestantismus verwandelt, wie der Rückgang der Zahl der Protestanten in Städten wie Nîmes oder La Rochelle zeigt.
  • Konfessionell gemischte Eheschließungen mit einer „ökumenischen Feier“ werden immer häufiger.
  • Die Laizisierung der Gesellschaft insgesamt ist ein aktuelles Phänomen.
  • Im Zuge der ökumenischen Bewegung ändern sich die Kräfteverhältnisse mit der Zeit.

Qualitativer Ansatz

Im Übrigen hat sich der elitäre Zug des Protestantismus noch verstärkt. Im Vergleich zum nationalen Durchschnitt liegt die Anzahl der oberen Führungskräfte um mehrere Prozentpunkte über dem nationalen Schnitt (18 % gegen 11 % im nationalen Durchschnitt), während der Arbeiteranteil niedriger als der nationale Durchschnitt ist. Es ist festzustellen, dass die Berufsgruppe der Landwirte auf 1 % zusammengeschrumpft und damit fast verschwunden ist (gegen 80 % zu Beginn des 20. Jahrhunderts), was der Entwicklung der französischen Gesamtgesellschaft entspricht (4 % Landwirte). Protestanten sind in der hohen Beamtenschaft (grands corps de l’État), in der Großindustrie und auch in der Politik anzutreffen.

Zahlreiche akademische Größen sind protestantischer Herkunft, darunter die beiden wissenschaftlichen Nobelpreisträger Jacques Monod und Pierre-Gilles de Gennes.

Wie die Analysen auch ausfallen, eines steht fest : der Protestantismus nimmt in Frankreich nur noch den dritten Platz ein, nach dem Katholizismus und dem Islam, ohne die Agnostiker mitzuzählen. „Die französische Religion wäre eine laizistische Religion auf katholischem Grund“. (Jean-Paul Willaime)

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