Die Bewegung Junge Frauen (Mouvement Jeunes Femmes)

Sie geht auf einen auf dem Kongress der „Unions chrétiennes de jeunes filles“ (Christliche Vereine junger Mädchen) im Jahr 1946 ausgedrückten Wunsch zurück, über einen Ort zu verfügen, wo verheiratete Frauen ihre christliche Berufung leben und in solidarischem Miteinander über ihre spezifischen Probleme nachdenken können.

Die Entstehung der Bewegung

Die Bewegung macht sich rasch von den Unions chrétiennes selbständig und auch von der Alliance Féminine, in der seit 1949 U.C.J.F., U.C.J.G. und die Equipes Unionistes (Fédération française des Eclaireuses (Französischer Pfadfinderinnenbund)) zusammengeschlossen sind.

1955 findet ein erster Kongress statt, der die Unabhängigkeit der Bewegung bestätigt. Die Zahl der Mitglieder wächst rasch : 1970 sind es 6.000. Sie sind dem Alter und dem sozialen Milieu nach sehr verschieden und gliedern sich in 3 Gruppen : die Très Jeunes Femmes (Sehr junge Frauen), im Alter von 20-35 Jahren ; die Jeunes Femmes, im Alter von 35-40 Jahren und die Equipes féminines (Frauengruppen) mit den Frauen über 45 Jahren.

Eine Bewegung, die Antworten geben will auf die Fragen, die sich die Frauen stellen

  • Ein Kongress der Bewegung Junger Frauen © Fédération Protestante de France

In der Gründung und Anziehungskraft der M.J.F. kommt der in den Nachkriegsjahren einsetzende Wandel in der Lebensweise der Frauen zum Ausdruck. Die desolate wirtschaftliche Lage Frankreichs und die mangelhafte Ausstattung des Landes werden nur langsam von den „dreißig glorreichen Jahrzehnten“ wirtschaftlicher Prosperität abgelöst.

Mit dem Babyboom vermehren sich die Aufgaben in Erziehung und Haushalt, was zu Lasten der Frauen geht. Der Ehemann ist bei der Arbeit und lässt sie allein zu Hause, wo die sich stets wiederholenden Arbeiten, die Müdigkeit, die Isolation sich zu dem „Problem, das keinen Namen hat“ (Betty Friedan, Der Weiblichkeitswahn, 1964) verdichten.

Die Frauenzeitschriften sind zu dieser Zeit voll von Artikeln, die sich mit dem Verlangen nach Erfüllung in der Familie und einer besseren Verteilung der Arbeit innerhalb der Familie beschäftigen.

Daneben sind die Frauen mit neuen politischen Realitäten konfrontiert : 1945 erhalten sie das Wahlrecht, die Gleichheit der Geschlechter wird in den Verfassungen von 1946 und 1958 festgeschrieben, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir fordern auf, sich zu engagieren.

Es wird auch darüber nachgedacht, welche Verantwortungen Frauen in der Kirche übernehmen können. Zahlreiche Mitglieder der „Jeunes Femmes“ sind Ehefrauen von Pfarrern und haben ein theologisches Studium absolviert. Die Frage der Ausübung des Pfarramts durch Frauen stellt sich mit der als Ausnahme zu verstehenden Ordination der Pfarrerin Elisabeth Schmidt im Juni 1949.

Eine stark intellektuell geprägte Bewegung

  • Francine Dumas (1917-1998) und ihr Gatte André Dumas © SHPF

Die Reflexion der „Theoretikerinnen“ der Bewegung wird besonders von drei Werken beeinflusst :

  • Die ewige Frau von Gertrud von Le Fort 1947, in dem die erlöserische Berufung der Frau hervorgehoben wird ; diese katholische Doktrin wird als zu konservativ erachtet.
  • Le Deuxième sexe (Das andere Geschlecht) von Simone de Beauvoir (Paris, Gallimard,1949 ), deren ganz und gar atheistisches Denken gleichzeitig fasziniert und skandalisiert.
  • Die wirkliche Frau von Charlotte von Kirschbaum, der Sekretärin Karl Barths, ein Werk, das auf halbem Weg zwischen den beiden vorigen angesiedelt ist. Es wertet den Unterschied zwischen den Geschlechtern und die Weiblichkeit auf und verneint die Sündhaftigkeit der Sexualität, wenn sie in den Dienst der ehelichen Liebe gestellt wird.

Alle Reflexionen, Studien, Buchrezensionen werden in der „Revue de l’Association des groupes Jeunes Femmes„, kurz « Bulletin » genannt, verbreitet. Diese erscheint 6 Mal im Jahr, ihre Aufmachung ist bescheiden, aber ihre intellektuelle und redaktionelle Qualität wird den hohen Ansprüchen der Bewegung voll gerecht. Außerdem erfüllt sie die Funktion eines Orts des Austauschs für die Mitglieder.

In diesem Bulletin melden sich auch die Leiterinnen zu Wort.

Aus der Gruppe bemerkenswerter Frauen, die die Werte des Protestantismus durch ihre Beteiligung an den feministischen Kämpfen ihrer Zeit hochgehalten haben, sind folgende Namen zu nennen : Jeanne Lebrun (1903-1996), die nach dem Zweiten Weltkrieg, auf die Forderung der verheirateten Frauen nach einem Ort des Forschens und des Sprechens eingehend, die Initiative zur Gründung der Bewegung ergreift ; Suzette Duflo,(1910-1983), von 1949 bis 1966 Präsidentin der Bewegung ; Francine Dumas (1917-1908), Vizepräsidentin, die in ihrem Engagement von ihrem Mann, dem Pfarrer André Dumas, tatkräftig unterstützt wird ; Christiane Rigal, ehemalige Journalistin bei Réforme, die die Redaktion des Bulletin betreut. Die Fragen, die die Frauen betreffen, nehmen in den Reflexionen im Bulletin den wichtigsten Platz ein :

  • Geburtenkontrolle,
  • Das Gelingen der Paarbeziehung,
  • Frauenarbeit,
  • Möglichkeiten der Übernahme von Verantwortung in der Kirche.

Eine Pionnierbewegung

  • Versammlung der Orsay-Gruppe (März 1997) © Jean Lods

Die Frage der „weiblichen Spezifität“ kehrt ständig wieder ; aber die Frauen von „Jeunes Femmes“ wehren sich gegen einen falsch verstandenen Feminismus und beziehen eher einen mittleren Standpunkt, den der „Alterität in der Similarität“. Sie verteidigen das Prinzip der „Nichtmixität“, das nicht als ein Selbstzweck anzusehen sei, sondern als eine Art Lernprozess, der sie in ihrer Paarbeziehung, in ihrem Umfeld und dann auch in der Gesellschaft allgemein stärker machen soll.

In den sechziger Jahren versteht sich die von „Jeunes Femmes“ praktizierte Methode des Austauschs und der Koedukation als bewusste, kollektive Einübung der Dekonditionierung und der Ablegung von Vorurteilen. Sie dient auch anderen, katholischen Bewegungen und den ersten Weiterbildungsexperimenten, die sich damals entwickeln.

1968 beteiligt sich das nationale Präsidium von Jeunes Femmes an den Arbeiten des G.E.R.E.A (Groupe d’études et de recherche pour l’éducation des adultes (Studien- und Forschungsgruppe für die Erwachsenenbildung)) und 1969 erhält die Bewegung die Zulassung durch das Ministerium für Jugend und Sport für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen.

Ständige Beschäftigung mit den Problemen der Gegenwart

Die Bewegung Jeunes Femmes engagiert sich auch in den sozialen Auseinandersetzungen und ist dort stets auf der Seite der Schwachen und Ausgeschlossenen zu finden, eine Haltung, die im Protestantismus allgemein üblich ist und hier durch die Nähe zu den barthianischen Reformern noch gestärkt wird.

Sie praktiziert eine gewisse Weggenossenschaft mit der zum kommunistischen Umfeld gehörenden Frauenorganisation Union des Femmes Françaises ; sie interessiert sich für die Lage der Frauen in der UdSSR, sie führt eine vertiefte Reflexion über den Algerienkrieg, der die französischen Familien spaltet. Sie unterstützt aktiv den Verein „Maternité heureuse“ (Glückliche Mutterschaft), aus der dann die Familienplanungsbewegung „Mouvement pour le Planning Familial“ hervorgeht, in der zahlreiche Mitglieder von Jeunes Femmes Verantwortung übernehmen. Sie denkt über eine Lockerung der Abtreibungsgesetze nach, beteiligt sich an den Überlegungen zu einer Änderung der ehelichen Güterstände und zum Übergang von der ausschließlichen väterlichen Autorität zur elterlichen Autorität und schließt sich der Forderung nach gleicher Bezahlung für Männer und Frauen und beruflicher Förderung der Frauen an.

In den siebziger Jahren beobachtet die Bewegung mit Interesse das Aufkommen der neuen feministischen Generation, rasch M.L.F. getauft, die radikalere emanzipatorische Positionen in Bezug auf die Unterdrückung und Diskriminierung vertritt, denen sich die Frauen ausgesetzt fühlen.

Die Leitung der Bewegung ändert 1972 die Satzung, streicht die Amtsbezeichnungen Präsidentin und Generalsekretärin und ersetzt das nationale Präsidium durch ein Kollegium von Funktionärinnen.

Heute ist die Mitgliederzahl zurückgegangen, und die Bewegung hat sich in Groupe Orsay umbenannt. Sie hat zwar innerhalb des Protestantismus an Sichtbarkeit verloren, ist jedoch weiterhin eine seiner innovativsten Unternehmungen.

Bibliographie

  • Bücher
    • POUJOL Geneviève, Un féminisme sous tutelle – Les protestantes françaises 1810-1960, Max Chaleil éditeur, Paris, 2003
  • Artikels
    • CHAPERON Sylvie, „Le Mouvement Jeunes Femmes (1946-1970) – De l’Évangile au féminisme“, Bulletin de la SHPF, SHPF, Paris, janvier-mars 2000, Tome 127

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